Milica Tomic

1998

ICH BIN MILICA TOMIC

Der Name der Künstlerin ­ Milica ­ ist zugleich der einer mittelalterlichen serbischen Königin, so dass sich eine persönliche Geschichte der Namesgebung durch ihre Eltern und der darin implizierten serbisch-orthodoxen Identität mit einer öffentlichen Geschichte und Identität verbindet. Mit ihrer wiederholten Behauptung »Ich bin Milica Tomic. Ich bin Koreanerin« oder »ich bin Schwedin« oder »ich bin Amerikanerin« bejaht und leugnet Tomic zugleich ihre einmalige, besondere Identität oder ­ wie sie es nennt ­ ihre »intime Identität«. Dieser Sprechakt stiftet keine Identität als »Koreanerin« oder was immer, sondern verlautbart eine Identifikation ­ eine serbische Frau, die sich als Koreanerin identifiziert ­ und untergräbt damit überhaupt den Anspruch nationaler Identität auf Einzigartigkeit. Ihre sorgfältig und deutlich, wie in der Schule artikulierten Worte werden ohne jede Modulation immer und immer wieder geäußert. Ihre Haltung bleibt unverändert ruhig, mit ihrem leicht erhobenen Kopf wirkt sie bisweilen wie eine Fernsehansagerin, ein Modell oder eine Kleiderpuppe, die sich langsam vor der Kamera dreht. Das mechanische und repetitive Erscheinungsbild gemahnt fast an einen Automaten, bis wir schließlich merken, dass auf ihrem Körper bei jeder Drehung neue Wundmale hervortreten. Auf einen ersten Blutfleck in ihrem Nacken, den man noch für einen Schatten halten könnte, folgen rasch viele weitere Blutströme, Schnitte und Wunden. Die mit jeder neuen Nationalitätsbehauptung aufbrechenden Wunden sind folglich auch ein Bild der Identität; ein Subjekt mit einem Namen und einer Nationalität zu sein, bedeutet auch subjectum der Verwundung, d. h. ihr unterworfen zu sein. Tomic¹ Identifikation wird somit supplementiert durch unsere eigene Identifikation mit dem verwundeten Körper und dem dabei empfundenen Schmerz, auf den wir schließen. Dieser Schluss ist natürlich ein kognitiver »Trugschluss«, doch unser Wissen um die wirklichen Ursachen der Wunden, nämlich die Kunstfertigkeit des Maskenbildners, zerstreut nicht die unbezwingbare Angst, die das Bild auslöst. Die sich ausbreitende Gewalt ist gleichermaßen nahegehend wie unentrinnbar, und doch baut sich zu unserem Entsetzen auch eine Spannungsstruktur auf, wenn wir die nächste Verletzung zu antizipieren lernen und den Körper nach der Stelle absuchen, an der sie in Erscheinung tritt. Die Bekundung von Identität/Identifikation durch den verwundeten Körper ist ebenso etwas Allgemeines wie etwas Besonderes. Tomic ist eine weiße weibliche Europäerin, und schön noch dazu. Diese Besonderheiten werden für jeden von uns Hör-Sehern, ob Mann oder Frau, alt oder jung, und je nach Rassenzugehörigkeit ganz eigene Bedeutungen haben. Tomic spricht uns also in dieser Arbeit nicht als Subjekte sexueller oder rassischer Differenz an, sondern bringt uns eher dazu, der Arbeit selbst als differente Subjekte zu begegnen.